Die Coronakrise darf nicht die Pflegereform verhindern - Sockel-Spitze-Tausch und begrenzte Eigenanteile könnten 2022 Wirklichkeit sein

Eigentlich hatte Minister Spahn eine Finanzreform der Pflege für diesen Sommer versprochen. Doch dann hat die Coronakrise das Thema verdrängt. Nun muss Spahn liefern, denn gerade durch Corona wurde deutlich, dass einmalige Finanzspritzen und Coronaprämien zwar in der Krise sinnvoll sind, aber keine langfristige Lösung bieten. Der gesellschaftliche Druck, die davon-galoppierenden Eigenanteile zu begrenzen, wird weiter zunehmen. Die notwendige Finanz- und Strukturreform der Pflegeversicherung muss jetzt starten.

Im November 2019 hat die Initiative Pro-Pflegereform mit dem zweiten Rothgang-Gutachten zur „Alternativen Ausgestaltung der Pflegeversicherung“ ein fundiertes Reformkonzept vorgelegt. Nun ist die Politik gefragt, den Neustart Pflege umzusetzen. „Klar ist, dass nicht alles auf einmal geht“, erklärt Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung und Sprecher der Initiative, „aber klar ist auch: Wir müssen sofort loslegen“.

Schneider schlägt ein Fünf-Stufen-Plan für die Umsetzung der Pflegereform vor. „Man muss und kann mit dem Punkt anfangen, der die meisten Menschen betrifft und am meisten belastet: die Finanzierung“, sagt Schneider. Denn dafür gibt es bereits Lösungen und ein politischer Konsens ist naheliegend. Sobald die neue Finanzierungsstruktur steht und die Eigenanteile begrenzt sind, ist die Strukturreform dran. Der Fünf-Stufen-Plan sieht so aus:

1. Stufe: Neue Finanzierungsstruktur in 2021. Die Verlagerung der Finanzierung für die medizinische Behandlungspflege ins SGB V muss die erste Stufe sein. Das würde die Ungleichbehandlung zwischen ambulanter und stationärer Pflege seit Einführung der Pflegeversicherung beenden und den Einstieg in eine klare Finanzierungsstruktur schaffen. Damit beweist die Politik den Willen und die Gestaltungskraft für eine SGB-IX-Reform und sorgt für die Entlastung der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen um rund 270 EUR monatlich.

2. Stufe: Fixer Eigenanteil im Pflegeheim ab 2022. „Wir fordern in der Pflegepolitik den Mut, die Pflegeversicherung für die Zukunft fit zu machen“, sagt Schneider. Deshalb muss der Sockel-Spitze-Tausch die zweite Stufe sein. Die Erhöhung der Leistungsbeträge wird nur kurzfristig den Druck der steigenden Eigenanteile verringern. Eine Verbesserung der Personalausstattung über eine Ausweitung der zusätzlichen Spahnstellen entlastet zwar die Eigenanteile, ist aber systemwidrig und viel zu bürokratisch. Wer die Eigenanteile in Griff bekommen will, muss sie mit dem Sockel-Spitze-Tausch deckeln. Wenn dieser Systemwandel in einem Schritt zu komplex und politisch nicht durchsetzbar ist, kann zunächst und das sehr zügig mit dem stationären Bereich und länderspezifischen Sockelbeträgen begonnen werden:

Sockel-Spitze-Tausch für den stationären Bereich: In den Pflegeheimen drückt der Schuh bei den Eigenanteilen und es ist auch der Bereich, der im Fokus der Forderung nach besserer Bezahlung und mehr Personal steht. Ambulante Kunden würden zwar vom Pflegegeld 2.0 profitieren, aber den neuen Eigenanteil als belastend ansehen. Deshalb wäre ein gedeckelter Eigenanteil im Pflegeheim ein absolut sinnvoller Einstieg in den Umstieg, der den großen Reformschritt mit „Wohnen und Pflegen in einer Welt ohne Sektoren“ vorbereiten kann.

Sockel-Spitze-Tausch mit länderspezifischen Sockel: Eine Subventionierung von Ost nach West, die es bei der Umstellung auf das neue System geben würde, ist eine große politische Hürde. Die Lösung wäre, zunächst länderspezifische Eigenanteile festzulegen, die entsprechend einer mathematischen Logik in einer Konvergenzphase einander angepasst werden. Ziel wäre, nach Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens einen bundesweit einheitlichen Sockel zu haben.

3. Stufe: Umsetzung Personalbemessungssystem ab 2022. Die Umsetzung eines bundeseinheitlichen Personalbemessungssystems im Pflegeheim ist gesellschaftlich gefordert und politisch versprochen. Sie wird aber scheitern, solange die Finanzierung der damit verbunden höheren Kosten den Bewohnern (über die steigenden Eigenanteile) auferlegt wird. Deshalb müssen der länderspezifische, gedeckelte Eigenanteil und die einheitliche Personalbemessung im Pflegeheim aneinandergekoppelt werden. Die Reformstufen 2 und 3 bedingen sich also quasi gegenseitig.

4. Stufe: Welt ohne Sektoren und Pflegegeld 2.0 ab 2024. Die weiteren Reformbausteine, die insbesondere mit dem Abbau der Sektoren, dem Pflegegeld 2.0 und dem Dreiinstanzenmodell im 2. Gutachten sehr gut beschrieben sind, dürfen nicht aus dem Fokus geraten und sollten deshalb in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden.

5. Stufe: Allgemeinverbindlicher Pflegetarifvertrag ab 2030. Ein bundesweit einheitlicher Pflegetarifvertrag wird verfassungsrechtlich scheitern. Es muss also hinterfragt werden, ob es weiter Sinn macht, mit einem Eingriff in die Tarifautonomie Pflegepolitik zu machen. Mit dem gedeckelten Eigenanteil in der Stufe 2 würde ein Qualitätswettbewerb entstehen, weil der Marktvorteil niedriger Preise ausgehebelt ist.

„Mit dem Rothgang-Gutachten liegt der Weg zur notwendigen Reform auf dem Tisch“, sagt Schneider, „nun muss die Politik den Mut aufbringen, ihn mit uns gemeinsam zu gehen“. Alle weiteren Informationen zur Initiative und zu den beiden Rothgang-Gutachten finden sich unter www.pro-pflegereform.de.