Die Impfstrategie ist so löchrig wie ein Schweizer Käse - MITs müssen Pflegeheime weiterhin regelmäßig anfahren und Ältere zuhause impfen

Minister Manne Lucha will das Ziel der vollständigen Zweitimpfung aller Pflegeheime im Land bis Mitte März erreicht haben. Das ist eine gute Ansage. Es ist aber ein großer Fehler zu glauben, dass damit die nötige Impfquote erreicht wird. Denn es gibt zahlreiche Bewohner und Mitarbeitende, die aus verschiedenen Gründen nicht geimpft werden. Und es gibt viele Bewohner, die neu aufgenommen werden und nicht geimpft sind. Es braucht eine nachhaltige Strategie, wie die MITs in Bewegung bleiben und alle Einrichtungen mit vulnerablen Personen so oft und so lange anfahren, bis die Hausärzte die Nachimpfungen übernehmen können.

„Die MITs machen einen tollen Job“, sagt Bernhard Schneider, Chef der Evangelischen Heimstiftung, „und wir sind dankbar, dass sie so gut vorbereitet in unsere Häuser kommen. Aber es reicht nicht, wenn sie nur einmalig zur Erst- und Zweitimpfung kommen“.

Der Lockdown, der jetzt bis zum 7. März verlängert wurde, ist eine große Belastung, aber zum Schutz der vulnerablen Gruppen unerlässlich. „Wir sehen deutlich, dass mit den rückläufigen Inzidenzen in den Landkreisen auch die Infektionszahlen in unseren Einrichtungen deutlich nach unten gehen“, analysiert Schneider. Es kann aber noch längst keine Entwarnung gegeben werden, auch aus Sorge vor den gefährlichen Mutationen. Deshalb müssen die strengen Schutzkonzepte für Pflegeheime weiter bestehen bleiben: Schützen mit FFP2 Masken, Testpflicht für alle, die ein Pflegeheim betreten und Impfen, so schnell wie möglich. Doch beim Impfen vermisst die EHS ein stringentes Konzept für alle pflegebedürftigen Menschen, sowohl in den Pflegeheimen, als auch zu Hause.

Minister Manne Lucha sprach im Zeitungsinterview davon, bis Mitte März das Ziel der vollständigen Zweitimpfung in allen Pflegeheimen in Baden-Württemberg erreicht zu haben. Derzeit sind es 13 Prozent, die die Zweitimpfung erhalten haben. Ähnliches verspricht auch Jens Spahn, bald allen Bewohnern in Pflegeheimen ein Impfangebot gemacht zu haben – ein Meilenstein der Nationalen Impfstrategie. Doch daran gibt es Zweifel. Bei der Evangelischen Heimstiftung als größten Träger im Land haben Mitte Februar 22 Prozent der Bewohner die Zweitimpfung erhalten und 57 Prozent die erste Spritze. Bei den Mitarbeitenden sind die Zahlen geringer: 32 Prozent haben die erste und nur zwölf Prozent die zweite Spritze.

Die Erwartungen, die mit solchen Versprechungen geweckt werden, sind ebenso unrealistisch, wie die Vorstellung, dass die Heime mit der bisherigen Impfstrategie irgendwann „durchgeimpft“ und damit sicher wären. Oftmals können Bewohner aufgrund einer früheren Infektion nicht geimpft werden. In nicht wenigen Fällen sind trotz Voranmeldung der Impfstoff so knapp, dass impfwillige Mitarbeitende oder Bewohner im Betreuten Wohnen oder in der Tagespflege nicht geimpft werden. Und in vielen Heimen gibt es Leerstände, die mit pflegebedürftigen Menschen nachbelegt werden, die nicht geimpft sind.

Ein einfaches Rechenbeispiel: Im Musterheim mit 100 Plätzen sind aufgrund von Corona nur 90 Plätze belegt. Davon wollen sich 75 Bewohner impfen lassen, 15 davon können aber wegen einer überstandenen Coronainfektion oder einer Vorerkrankung nicht geimpft werden. Nach der Zweitimpfung hat das Musterheim also gerade mal eine Impfquote von 60 Prozent. Eine ähnliche Beispielrechnung bei den Mitarbeitenden kommt auf eine Impfquote von deutlich unter 50 Prozent, obwohl die Impfbereitschaft deutlich höher ist.

Es ist also ein Fehler zu glauben, dass nach der Zweitimpfung ein Impfschutz mit einer Impfquote von 90 Prozent erreicht ist. „Das dürfte eher die Ausnahme sein,“ ist Schneider sicher, „und die Lücke kann erst gefüllt werden, wenn der richtige Impfstoff in genügender Menge zur Verfügung steht, dass die Hausärzte die Nachimpfungen machen. Das wird aber noch lange dauern. Soviel Zeit haben wir nicht“. Deshalb braucht es nach Überzeugung von Schneider eine proaktive Impfstrategie, nach der die MITs laufend in Bewegung bleiben und auch zu einem dritten, vierten und fünften Termin in die Pflegeheime kommen, wenn eine entsprechende Anzahl von impfwilligen Bewohnern und Mitarbeitenden auf der Liste stehen.

Übrigens kann so auch den Menschen ein Impfangebot gemacht werden, die zuhause versorgt werden. „Viele Pflegeheime sind mitten im Ort und haben große Veranstaltungsräume, die derzeit nicht genutzt werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Impfteams dort auch ältere und pflegebedürftige Personen aus der Gemeinde oder dem Stadtteil impfen und anschließend zu denen nach Hause kommen, die auch diesen Weg nicht schaffen“.

Erst, wenn es in den Einrichtungen für vulnerable Gruppen eine konstante Impfquote von 80 Prozent gibt, kann man wieder an ein annähernd normales Leben denken, mit uneingeschränkten Familienbesuchen, Veranstaltungen und Sommerfesten. „Je schneller das passiert, umso besser“, fasst Schneider zusammen.