Die vergeigte Impfpflicht

Kommentar von Bernhard Schneider

Die heutige Diskussion im Bundestag war nichts anderes, als der letzte Akt im Drama „Die vergeigte Impfpflicht“. Im Dezember wurde die einrichtungsbezogene Impfpflicht als erster Schritt und mit dem festen Versprechen des Bundeskanzlers einer allgemeinen Impfplicht beschlossen. Die kommt nach großem politischen Theater nun leider doch nicht. Das ist ein eklatanter Vertrauensbruch der Politik gegenüber der gesamten Pflegebranche.

Die Pflegekräfte fühlen sich verschaukelt, weil ihnen unter Androhung der Arbeitslosigkeit eine Impflicht auferlegt wird, während Besucher und Bewohner weiterhin ungeimpft in die Heime dürfen. Dabei sind es oft genug Besucher, die das Virus in die Einrichtungen tragen – und nicht die Mitarbeitenden. Welchen Sinn soll es jetzt also machen, die einrichtungsbezogene Impfpflicht umzusetzen und tausende, ungeimpfte Pflegekräfte nach Hause zu schicken? Das ist nicht mehr zu vertreten. Deshalb muss die einrichtungsbezogene Impfpflicht ausgesetzt werden, bis die allgemeine Impfpflicht tatsächlich beschlossen ist.

Der wirkungsvollste Schutz gegen schlimme Krankheitsverläufe ist und bleibt die Impfung. Eine hohe Immunisierungsquote in der Bevölkerung reduziert das Ansteckungs- und Krankheitsrisiko und damit auch die Gefahr, dass das Virus in Pflegeheime eingeschleppt wird. Damit wäre die allgemeine Impfplicht auch die wichtigste Voraussetzung dafür gewesen, dass in Pflegeheimen wieder Normalität einkehrt: keine Besuchsbeschränkungen, keine Zimmerisolationen und kein Verbot mehr von Geselligkeit. Eine hohe Impfquote bedeutet die Chance auf Rückkehr zur Normalität, denn Pflege braucht Nähe, Zuwendung, Berührung und vor allem freundliche Gesichter, die sich nicht den ganzen Tag hinter Masken verstecken müssen.

Wir sind deshalb sehr enttäuscht, dass sich unsere Abgeordneten im Bundestag dieser Verantwortung nicht stellen und die allgemeine Impfpflicht abgelehnt haben. Es ist fatal, dass sich diejenigen durchsetzen, die trotz all der schlimmen Erfahrungen aus der Pandemie einer Impfung skeptisch gegenüberstehen. Den Verantwortlichen in Berlin muss klar sein, dass sie einen Kollaps des Pflegesystems im Herbst riskieren. Eine hohe Impfquote ist unser einziger Weg raus aus dieser Pandemie. Ohne die Impfpflicht schlittern wir im Herbst mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in die nächste Coronawelle und womöglich noch in die nächste, gefährliche Virusvariante. Leidtragende werden dann wieder die Pflegekräfte in Pflegeeinrichtungen und auf Intensivstationen sein – die ohnehin schon am Anschlag sind. Den drohenden Kollaps wird dann auch keine Pflegeprämie der Welt mehr kitten können.

Zum Autor
Bernhard Schneider ist Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung.