Heils Tariftreuevorstoß ist sozialpolitisch scheinheilig - Idee eines Pflege-Tariftreue-Gesetzes ohne gedeckelte Eigenanteile springt zu kurz

Wenn der SPD-Arbeitsminister den 1. Mai zum Anlass nimmt, ein „Pflege-Tariftreue-Gesetz“ ins Gespräch zu bringen, ist das nachvollziehbar. Solange er jedoch kein schlüssiges Konzept vorlegt, wie die damit verbundenen Mehrkosten finanziert werden sollen, belastet er die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen. Das ist sozialpolitisch unverantwortlich.

Arbeitsminister Hubertus Heil schlägt gemeinsam mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ein „Pflege-Tariftreue-Gesetz“ vor, das noch im Sommer – und damit vor der Bundestagswahl – verabschiedet werden soll. Demnach sollen nur noch solche Unternehmen Geld aus der Pflegeversicherung erhalten, die ihren Beschäftigten Tariflöhne bezahlen. Das ist im Prinzip der richtige Ansatz, der jedoch nur Sinn macht, wenn es gleichzeitig eine überzeugende Antwort darauf gibt, wer die damit verbundenen Mehrkosten zu bezahlen hat. Diese Antwort bleibt Heil schuldig. Das ist ein Affront gegen alle pflegebedürftigen Menschen, die schon heute kaum in der Lage sind, die steigenden Eigenanteile für die Pflege selbst zu tragen.

Im jetzigen System der Pflegeversicherung bezahlt die Pflegekasse je nach Pflegegrad einen fixen Zuschuss an den Pflegekosten. Den Rest müssen die Versicherten selbst oder die Sozialhilfe übernehmen. Jede Tarifsteigerung und jede Qualitätsverbesserung müssen daher von den Betroffenen aus eigener Tasche bezahlt werden. Das ist bei Eigenanteilen von teilweise über 3.000 Euro im Monat schon heute nicht mehr zumutbar.

Deshalb muss die Einführung des Tariftreuegrundsatz und eines besseren Personalbemessungssystems mit einer Umkehr der Finanzierungslogik verbunden sein: Die Pflegbedürftigen zahlen einen fixen Eigenanteil und die Pflegekasse übernimmt den Rest. Ohne diesen Sockel-Spitze-Tausch kann es keine Pflegereform geben.

Das hat auch Jens Spahn erkannt, der mit seinen Eckpunkten für eine Pflegereform einen gedeckelten Eigenanteil von 700 Euro auf max. 2 Jahre einführen wollte. Im vorliegenden Referentenentwurf ist er leider vom dieser Idee zugunsten eines relativen Deckels abgerückt, der erst nach zwei Jahren eine stufenweise prozentuale Erleichterung vorsieht und damit weitegehend wirkungslos bleibt.

Warum die SPD den vorliegenden Reformvorschlag des Koalitionspartners nicht aufgreift, sondern einen eigenen, viel zu kurz gedachten Tariftreuegrundsatz formuliert, bleibt schleierhaft. Im Sinne der Pflegebedürftigen und der Pflegenden wäre es zu wünschen, parteitaktische Wahlkampfmanöver zurückzustellen und gemeinsam und konstruktiv an einer Pflegereform zu arbeiten, die einen echten Tariftreuegrundsatz und eine echte Deckelung der Eigenanteile einzieht. Da ist nicht nur der CDU-Gesundheitsminister und der SPD-Arbeitsminister, sondern auch der SPD-Finanzminister gefordert, der endlich grünes Licht für die Finanzreform und damit den gedeckelten Eigenanteil geben muss.

Der Schritt für eine Finanz- und Strukturreform der Pflegeversicherung ist überfällig und jeder Politiker, der für eine verantwortliche Sozialpolitik eintreten will, muss ihn noch vor der Bundestagswahl mitgehen. Alles andere wäre angesichts der vielfachen Solidaritäts-bekenntnisse für die Pflege scheinheilig.