Kommentar: Eigenanteile in der Pflege

Lauterbach ist überrascht. Scholz kündigt Jahrhundertwerk an.

 

Die Regierung ist immer wieder für Überraschungen gut: Kürzlich hat Gesundheitsminister Lauterbach vor steigenden Eigenanteilen im Pflegeheim gewarnt, die in wenigen Jahren bei 4.000 Euro liegen könnten. Dabei haben einzelne Heime diese Schallgrenze bereits überschritten. Und wer die Grundrechenarten beherrscht, kann davon nicht wirklich überrascht sein.

Von Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider

Wirklich überraschend ist allerdings, dass Bundeskanzler Scholz seinem Gesundheitsminister beispringt. Bei einem Bürgergespräch in Bremen sagte er, dass die Eigenanteile „nicht einfach explodieren“ dürften. Es sei ein parteiübergreifendes „Jahrhundertwerk“ nötig, der allerdings schwierig werden dürfte, weil ja die Versicherungsbeiträge auch nicht explodieren dürften.
Gute Nachrichten gibt es dazu aus der Initiative Pro-Pflegereform: Der häufig geführte zweidimensionale Streit mit dem Finanzminister um Beitragserhöhung und Steuerzuschüsse kann überwunden werden. Natürlich müssen die im Koalitionsvertrag zugesagten Milliarden für versicherungsfremde Leistungen an die Pflegekassen überwunden werden. Und natürlich wird man um eine moderate Erhöhung der Beitragssätze nicht herumkommen. Aber: Eine Jahrhundertreform der Pflegeversicherung ist durchaus finanzierbar, wenn weitere Finanzierungsbausteine herangezogen und die Lasten auf mehrere Schultern verteilt werden.

Da ist zunächst ein Zuschuss, den die für die pflegerische Infrastruktur verantwortlichen Länder leisten müssen, um Heimbewohner bei den hohen Investitionskosten zu entlasten. Eine weitere, grundlegende Stellschraube ist die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zu einer Bürgerversicherung. Damit werden alle Bürger und alle Einkommensarten in die Solidargemeinschaft einbezogen – ein Herzensanliegen, das SPD und Grüne verbindet. Und schließlich gibt es noch den Sockel-Spitze-Tausch, der nicht nur die Eigenanteile der Heimbewohner verlässlich begrenzt. Er eröffnet auch die konkrete Möglichkeit, über eine Absicherung des Eigenanteils die private Vorsorge zu stärken – ein Herzensanliegen der FDP.

Das sind fünf Finanzierungsbausteine, die viel Spielraum für politische Kompromisse eröffnen. Selbst die CDU, die kürzlich auch mit der Forderung nach einer Pflegevollversicherung Aufmerksamkeit erregt hat, kann ins Boot geholt werden. Wenn jeder in der Ampel dem Regierungspartner sein Herzensanliegen gönnt, sind Kompromisse und eine Jahrhundertreform der Pflegeversicherung tatsächlich möglich. Nötig wäre dafür jedoch der politische Wille, die pflegepolitische Lähmung zu überwinden und gemeinsam nach konstruktiven Lösungen zu suchen. Wenn das gelänge, wäre es eine wirkliche Überraschung.