Konzertierte Aktion Pflege: mutlos und unehrlich - Pflegeminister legen Maßnahmenpakete vor – Betroffene bezahlen

Es ist schon etwas Besonderes, wenn sich drei Bundes-ministerien in einer Konzertierten Aktion Pflege (KAP) mit der gesamten Pflegeszene zusammentun, um in fünf Arbeitsgruppen die Probleme der Pflege zu lösen. Das Ergebnis ist aber enttäuschend: Es fehlen die Vision für einen Paradigmenwechsel und eine Antwort auf die explodierenden Eigenanteile in der Pflege.

Die Gesundheits-, Arbeits- und Familienminister Jens Spahn, Hubertus Heil und Franziska Giffey haben als ein Hauptziel der Konzertierten Aktion Pflege angekündigt, für mehr Personal und bessere Bezahlung zu sorgen. Das ist dringend nötig und erhält berechtigten Ap-plaus. Und obwohl die Pflegeminister wissen, dass beide Maßnahmen eine Menge Geld kosten, legen sie kein Finanzierungskonzept vor. Das ist unehrlich und muss dringend nachgebessert werden, denn weiter steigende Eigenanteile sind nicht mehr zumutbar.

Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer des größten Altenhilfeträgers in Baden-Württemberg und Sprecher der Initiative Pro-Pflegereform, fordert Konsequenzen: „Die Poli-tik kann sich nicht für ihre Gestaltungskraft feiern lassen und die Rechnung den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen präsentieren. Wenn die Vorschläge der KAP nun bundes-weit umgesetzt werden“, ist sich Schneider sicher, “dann wird das deutliche Kostensteigerungen zur Folge haben, und zwar auch diesmal einzig und allein für die Betroffenen“.

Sockel-Spitze-Tausch würde die Eigenanteile der Versicherten begrenzen

In Ländern wie Bayern oder Baden-Württemberg, in denen in den zurückliegenden Jahren die Personalschlüssel angehoben wurden und faire Tarifgehälter bezahlt werden, haben sich die von Pflegebedürftigen und Angehörigen zu zahlenden Eigenanteile um teilweise über 25 Prozent erhöht. Inzwischen liegen sie mancherorts schon bei über 3.000 Euro im Monat, allein 1.500 Euro davon entfallen auf den pflegebedingten Aufwand. Wer kann sich das noch leisten? „Für eine Pflegeversicherung, die vor 25 Jahren angetreten ist, um das individuelle Pflegerisiko zu solidarisieren, ist das eine Bankrott-Erklärung“, sagt Schneider.

Der Grund für die explodierenden Eigenanteile: Die Leistungen der Pflegeversicherung sind auf einen pauschalen Sockelbetrag begrenzt. Die nach oben offene Spitze müssen die Pfle-gebedürftigen selbst bezahlen. Dieses System muss umgedreht werden: Die Pflegekasse müssen alle notwendigen pflegebedingten Kosten übernehmen und den Versicherten einen fixen, gesetzlich festzulegenden Sockelbetrag berechnen. Die dadurch entstehenden höhe-ren Kosten müssen durch höhere Beiträge, einen Steuerzuschuss und die Übernahme der Behandlungspflege durch die Krankenkasse finanziert werden.

Vision für einen Paradigmenwechsel

Nach 25 Jahren hat sich die Pflegeversicherung in ein bürokratisches Ungetüm verwandelt, das nicht mehr den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Deshalb müssen die starren Sektorengrenzen zwischen ambulant und stationär vollständig überwunden und stattdessen das System nach den Prinzipien „Wohnen“ und „Pflege“ organisiert werden: Die Pflegeversicherung übernimmt Grundpflege und Betreuung, die Krankenkasse Behandlungspflege und Rehabilitation und der Versicherte zahlt die Hotelkosten. Das ist ein einfaches Prinzip, das wohnortunabhängig funktioniert, zu Hause, im Pflegeheim oder im Betreuten Wohnen. „Ein solcher Paradigmenwechsel eröffnet den politischen Gestaltungspielraum, der bei all den löblichen Ergebnissen der Konzertierten Aktion schmerzlich vermisst wird“, sagt Schneider.

Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Die Initiative Pflegereform hat bereits im Mai 2017 ein Gutachten zur alternativen Ausgestaltung der Pflegeversicherung vorgelegt und aufgezeigt, dass der Sockel-Spitze-Tausch finanzierbar und der Abbau der Sektorengrenzen umsetzbar ist. Ein zweites Reformgutachten ist in Arbeit, das konkrete Handlungsansätze liefern wird. „Dieses Gutachten wird im November 2019 vorliegen und ich hoffe sehr, dass wir damit einen neuen Impuls für einen wirklichen und wirkungsvollen Paradigmenwechsel in der Pflege einleiten können“, hofft Schneider.

Zur Initiative Pro-Pflegereform

Die Initiative Pro-Pflegereform wurde Ende 2016 von mehreren Trägern und Verbänden aus der deutschen Pflegebranche ins Leben gerufen. Mittlerweile unterstützen 118 Pflegeunternehmen mit 959 Pflegeheimen und 263 Pflegediensten sowie 59 Verbände und Organisationen die Initiative, die sich für einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung einsetzt. In einem ersten Gutachten zeigte Prof. Dr. Heinz Rothgang im Mai 2017 auf, dass der Sockel-Spitze-Tausch machbar und finanzierbar ist. Das zweite Reformgutachten mit konkreten Handlungsansätzen ist in Arbeit.