Neue Pflegeversicherung: bedarfsgerecht, ortsunabhängig, bezahlbar - Initiative zeigt mit 2. Rothgang-Gutachten, wie eine grundlegende Finanz- und Strukturreform der Pflegeversicherung funktionieren kann

Von Bernhard Schneider, Sprecher Initiative Pro-Pflegereform & EHS-Hauptgeschäftsführer

Die Grundlage wurde im Mai 2017 gelegt, mit dem 1. Rothgang-Gutachten zur alternativen Ausgestaltung der Pflegeversicherung. Kernstücke waren der Sockel-Spitze-Tausch und der konsequente Abbau der Sektoren. Diese Reformvorschläge haben eine bundesweite Reformdebatte ausgelöst, die insbesondere die Finanzierungsfrage stellt. Das ist auch dringend nötig, um die explodierenden Eigenanteile zu begrenzen. Dazu liefert der Sockel-Spitze-Tausch einen neuen Lösungsweg: Solange die Pflegeversicherung nur einen festen Sockel für den Pflegeaufwand bezahlt, geht jede Qualitätsverbesserung voll zu Lasten der Bedürftigen. Der Sockel-Spitze-Tausch beschreibt den Switch, wonach die Versicherten nur einen festen Sockelbetrag und die Versicherung die nach oben offene Spitze bezahlen.

Diese Idee hat Eingang in zahlreiche Reformvorschläge gefunden, die mal Begrenzung der Eigenanteile, doppelte Pflegegarantie oder Pflegevollversicherung heißen. Alle zielen darauf ab, die Finanzausstattung der Pflegeversicherung zu verbreitern und das individuelle finanzielle Risiko zu reduzieren. Das ist gut so, aber ein wesentlicher Baustein fehlt: Erst mit einem radikalen Abbau der Sektoren und der bürokratischen Zuordnung der Menschen in eine ambulante oder stationäre Welt kann der Paradigmenwechsel wirklich gelingen.

Am 18. November legt die Initiative Pro-Pflegereform das 2. Gutachten vor, mit dem die Flughöhe niedriger und konkret beschrieben wird, wie beides zusammen gelingen kann: eine grundlegende Finanzreform und eine Neuausrichtung der Pflegewelt, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das Gutachten, das Prof. Heinz Rothgang mit zwei Expertengruppen im letzten halben Jahr erarbeitet hat, geht weiter als alle bisherigen Konzepte und macht konkrete Vorschläge, wie eine neue Pflegeversicherung aussehen kann: bedarfs-gerecht, ortsunabhängig und bezahlbar.

SCHRITT 1: Die Strukturreform – Sektorenabbau für wohnortunabhängige Leistungen

Die bisherigen Reformkonzepte beziehen sich überwiegend auf die stationäre Pflege. Dabei werden über zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Eine grundlegende Pflegereform muss auch ihnen und den Angehörigen zugutekommen. Deshalb zielt das Gutachten auf eine „Pflegewelt ohne Sektoren“ ab und beschreibt ein System, das nach „Wohnen“ und „Pflege“ organisiert ist. Unabhängig davon, wo jemand wohnt, übernimmt die Pflegeversicherung Grundpflege und Betreuung, die Krankenkasse die Behandlungspflege und Rehabilitation und der Versicherte zahlt die Hotelkosten.

  • Eine solche Strukturreform schafft die sektorale Fragmentierung ab,
  • nimmt das Individuum in den Fokus statt der Frage nach ambulant oder stationär,
  • ermöglicht bedarfsgerechte Pflegesettings, moderne Leistungsangebote und stärkt die Zivilgesellschaft und
  • sie unterstützt Angehörige durch ein neues Pflegegeld 2.0.

SCHRITT 2: Die Finanzreform – Sockel-Spitze-Tausch für bezahlbare Eigenanteile

Der Sockel-Spitze-Tausch dreht das aktuelle System um und sorgt dafür, dass die Pflegekasse die Pflegekosten vollständig trägt und dem Versicherten einen fixen, begrenzten Eigenanteil berechnet. Das Gutachten liefert dazu konkrete Finanzierungsvorschläge:

  • Es beschreibt zunächst in einem Referenzmodell die Entwicklung der steigenden Eigenanteile bis 2045 und zeigt, dass dringend etwas passieren muss.
  • Es kalkuliert dann in mehreren Szenarien bis 2045, wie sich die Eigenanteile und die Versicherungsbeiträge entwickeln,

            - wenn der Eigenanteil begrenzt wird und
            - wenn verschiedene Finanzierungselemente zum Zuge kommen, wie die
              überfällige Verlagerung der Behandlungspflege, ein Steuerzuschuss, ein
              Nachteilsausgleich oder eine Pflegebürgerversicherung.

Politische Anschlussfähigkeit
Die Finanzierungszenarien werden mit dem Referenzmodell verglichen und bieten damit je nach politischer Ausrichtung finanzierbare Handlungsoptionen, von der Pflegeversicherung mit fixem Eigenanteil über die Pflegevollversicherung bis zur Pflegebürgerversicherung. Aber erst die Kombination aus Finanz- und Strukturreform macht das Modell so attraktiv und anschlussfähig. Dadurch geht es nicht nur ums Geld, sondern es entsteht ein neues Pflegesystem, das Pflegebedürftigen, Angehörigen und Pflegekräften zugutekommt.

  • Es wirkt Dumpinglöhnen und schlechter Pflege entgegen, weil sich der Wettbewerb dann an der Qualität orientiert und nicht mehr am Preis.
  • Es macht den Pflegeberuf attraktiver, weil die Rahmenbedingungen unabhängig von den Kosten für die Betroffenen verbessert werden können.
  • Es macht gute Pflege bezahlbar und senkt das Risiko der Altersarmut.


EINLADUNG FÜR MEDIENVERTRETER

 

Das 2. Gutachten wird am 18. November im Rahmen des Pflegeforums „HORIZONTE“ in Stuttgart vorgestellt. Dazu lädt die Evangelische Heimstiftung Medienvertreter ein, am Montag, 18. November um 17 Uhr in der Unternehmenszentrale (Hackstraße 12). Mit dabei sind neben Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider und Prof. Heinz Rothgang auch Sozialminister Manfred Lucha, der sich in einem Impuls zu den Inhalten des 2. Gutachtens äußert. Eine Akkreditierung ist nicht notwendig, wir bitten aber um verbindliche Anmeldung via E-Mail (a.heizereder@ev-heimstiftung.de). Das Programm ist angehängt.