Pflegelöhneverbesserungsgesetz wird Eigenanteile weiter erhöhen - Damit Reformen greifen, braucht das Pflegesystem eine grundlegende Strukturreform

Das gestern beschlossene Pflegelöhneverbesserungsgesetz will eine bessere Bezahlung von Pflegekräften sicherstellen, entweder durch einen allgemeinen Tarifvertrag oder durch höhere Mindestlöhne für die Branche. Gleichzeitig hat der Bundestag auch die Einführung eines Mindestlohns für Auszubildende beschlossen. Bei der Evangelischen Heimstiftung (EHS) begrüßt man die Bemühungen der Bundespolitik, die Probleme der Pflege zu lösen. „Die Gesetze haben aber unter dem Strich kaum Bedeutung für uns“, sagt EHS-Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider. Denn bereits jetzt verdienen Pflegefachkräfte bei der EHS mit 3.247 Euro Monatsbrutto weitaus mehr, als die von Minister Jens Spahn genannten 2.500 Euro. Auch die Ausbildungsvergütung liegt mit 1.140 Euro im ersten Lehrjahr weit über dem beschlossenen Mindestlohn von 515 Euro.

„Vielmehr macht das Gesetz deutlich, dass eine verfehlte Pflegepolitik nicht durch einen Eingriff in die Tarifautonomie repariert werden kann“, sagt Schneider. Denn nach dem aktuellen System müssen die Pflegebedürftigen 100 Prozent der höheren Löhne selbst finanzieren, was die ohnehin schon explodierenden Eigenanteile noch mehr in die Höhe treiben würde. Ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn oder ein allgemeiner Tarifvertrag funktionieren nur dann, wenn die Tarifgehälter und damit auch jede Erhöhung aus der Pflegeversicherung finanziert werden. Deshalb hat Minister Jens Spahn für Anfang 2020 einen Finanzierungsvorschlag angekündigt, der einen „fairen Ausgleich“ schaffen soll. „Die Blaupause dafür liefert das 2. Rothgang-Gutachten, das am 13. November in Berlin exklusiv vorgestellt wird“, kündigt Schneider an.

Notwendige Strukturreform durch Sockel-Spitze-Tausch

Bereits im Mai 2017 hat Prof. Rothgang im Auftrag der Initiative Pro-Pflegereform in einem ersten Gutachten aufgezeigt, dass das aktuelle System eine grundlegende Strukturreform braucht, um seine Geburtsfehler zu korrigieren. Die Lösung ist eine Kombination aus dem Sockel-Spitze-Tausch und dem Abbau der Sektorengrenzen. Wie das funktioniert, beschreibt Rothgang in seinem 2. Gutachten, das exklusiv am 13. November in Berlin vorgestellt wird. Das Brisante an dem Gutachten:

  • Es zeigt auf, dass die Eigenanteile begrenzt und die Sektoren abgebaut werden können und dass diese grundlegende Strukturreform umsetzbar und finanzierbar ist.
  • Es dekliniert die notwendigen Folgeschritte der Reform, sowohl fachlich als auch finanziell, etwa: die Rolle des MDK und die Moral-Hazard-Problematik; den Umgang mit dem Pflegegeld; den Modulkatalog in einer Welt ohne Sektoren.
  • Es diskutiert verschiedene Umsetzungsszenarien, etwa eine Steuer- oder Beitragsfinanzierung und die festzulegende Höhe des gedeckelten Eigenanteils.

Kurz zusammengefasst: So funktioniert der Sockel-Spitze-Tausch

Der Sockel-Spitze-Tausch bedeutet, das aktuelle System der Pflegeversicherung auf den Kopf zu stellen. Denn derzeit sind die Leistungen der Pflegeversicherung auf einen Sockelbetrag begrenzt. Die nach oben offene Spitze zahlen die Pflegebedürftigen selbst und mit ihr jede Verbesserung, wie bessere Gehälter oder mehr Personal in den Einrichtungen. Und das kann teuer werden. Durch die Reform übernimmt die Pflegekasse alle notwendigen, pflegebedingten Kosten – also die Spitze – und berechnet dem Versicherten den fixen und begrenzten Eigenanteil – also den Sockel.

Gleichzeitig sollen die Sektorengrenzen zwischen ambulant und stationär überwunden und stattdessen das System nach den zwei Prinzipien „Wohnen“ und „Pflege“ einfach und verständlich organisiert werden. Unabhängig davon, wo jemand wohnt (zu Hause, im Betreuten Wohnen oder Pflegeheim), übernimmt also die Pflegeversicherung Grundpflege und Betreuung, die Krankenkasse Behandlungspflege und Rehabilitation und der Versicherte zahlt die Hotelkosten.

Diese Reform macht das System nicht nur für Pflegebedürftige, sondern gerade für Pflegekräfte gerechter und hat drei große Vorteile: erstens wirkt man Dumpinglöhnen und schlechter Pflege entgegen, weil sich der Wettbewerb dann an der Qualität orientiert und nicht mehr am Preis; zweitens wird der Pflegeberuf attraktiver, weil die Rahmenbedingungen unabhängig von den Kosten für die Betroffenen verbessert werden können; drittens wird gute Pflege wieder bezahlbar und das Risiko der Altersarmut sinkt automatisch.