Schutzlos in den Coronaherbst: Coronazahlen steigen, Experten warnen – und die Koalition handelt nicht

Zwei Jahre Pandemie und zwei Jahre leere Versprechungen bedeuten: Auch im bevorstehenden dritten Coronaherbst gibt es kein schlüssiges Schutzkonzept der Politik für die Pflegeheime. Nun steigt die Inzidenz, Experten warnen vor einem Coronachaos und fordern konkrete Maßnahmen für ein mögliches „ungünstiges Szenario“ im Herbst. Es muss gehandelt werden. Aber es passiert: nichts.

Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung in Stuttgart ist fassungslos: „Wir befinden uns im dritten Pandemiejahr, die Coronazahlen steigen, es ist mit neuen gefährlichen Virusvarianten zu rechnen und niemand hat eine Vorstellung davon, wie wir die bevorstehende Herbstwelle in unseren Heimen bewältigen sollen“.

Eine allgemeine Impfplicht ist die wichtigste Maßnahme, um das Virus einzudämmen und damit alte, pflegebedürftige Menschen vor Ansteckungen zu schützen. Die ist aber nach wie vor nicht in Sicht. Stattdessen dürfen Besucher weiterhin ungeimpft in den Einrichtungen ein- und ausgehen. Die einzigen, die sich impfen lassen müssen, sind Pflege- und Betreuungs-kräfte. Die empfinden das als ungerecht und verlassen deshalb scharenweise den Beruf oder müssen von den Gesundheitsämtern freigestellt werden. „Obwohl wir deutlich mehr Mitarbeitende bräuchten, um die 3. Welle zu bewältigen, droht uns im Oktober ein neuer Aderlass“, befürchtet Schneider. „Wir haben keine Reserven mehr, um die vielen Krank-meldungen zu kompensieren“. Die Evangelische Heimstiftung rechnet deshalb mit erheblichen Versorgungsengpässen sowohl im Pflegeheim als auch in der ambulanten Pflege.

Hinzu kommt, dass die Datenlage als Grundlage vorausschauender Coronamaßnahmen immer noch katastrophal ist. An Stelle eines Impfregisters oder eines einfachen, digitalen Verfahrens zur Dokumentation und Übermittlung des Impfstatus von Bewohnern und Mitarbeitenden gibt es komplizierte Datenschutzbestimmungen, mit denen die aufwändigen Meldepflichten nicht zu erfüllen sind. „Unsere Pflegedienstleitungen müssen sich tatsächlich immer wieder die Impfnachweise zeigen lassen und Strichlisten führen, um sie dann ans RKI zu schicken – es sind Geschichten aus Absurdistan, die da gerade geschrieben werden. Ich könnte ja lachen, wenn es nicht so traurig wäre“, sagt Schneider.

Nun haben Pflegekräfte eine hohe Ausdauer und Leidensfähigkeit. „Unsere Leute wissen um ihre Sonderrolle in der Pandemie und sie geben wirklich alles“, sagt Schneider, „aber irgendwann ist das Ende der Fahnenstange erreicht“. Bei der Heimstiftung glaubt niemand mehr an eine vorausschauende Coronapolitik, obwohl die Eckpunkte dafür eindeutig sind: Es braucht eine starke, überzeugende Impfkampagne, den Willen, eine allgemeine Impfpflicht mit Impfregister einzuführen und eine nachhaltige Strategie für ein überzeugendes Hygiene-konzept mit Testangeboten und Maskenpflichten.

„Stattdessen übt man sich in Berlin in Corona-Blabla, langen Ankündigungen und politischen Machtkämpfen“, bemängelt Schneider. Und was macht Olaf Scholz? Als Bundeskanzler muss er den Streit seiner Koalitionäre beenden und endlich eine Richtung vorgeben. Aber er schweigt. „Aus seinem vollmundigen Versprechen, sich mit Impfpflicht und klarer Coronapolitik der Pandemie entgegenzustellen, sind laue Absichtserklärungen geworden“.

Den Verantwortlichen in Berlin muss klar sein: Wenn sie sich weiterhin weigern, Verantwortung zu übernehmen, riskieren sie den Kollaps des Pflegesystems. Niemand wird sagen können, das wäre nicht absehbar gewesen. Noch ist Zeit zu handeln und einen konkreten Plan auf den zu Tisch legen. Die Menschen in den Pflegeeinrichtungen warten darauf.