Spahn springt zu kurz - Reformvorschläge aus vorgelegtem Arbeitsentwurf sind enttäuschend

Der Entwurf zur Reform der Pflegeversicherung, den Jens Spahn vorgelegt hat, bleibt hinter den Erwartungen der Branche und noch schlimmer, auch hinter seinen Möglichkeiten zurück. Aus einer echten Pflegereform, die mit viel fachpolitischem Rückenwind zu dem lang erhofften Paradigmenwechsel führen könnte, ist eine weitere Pflegebaustelle geworden, die sich nahtlos in die Reihe halbherziger Pflegestärkungs- und -verbesserungsgesetze einreiht.

Im November 2020 hat Jens Spahn die Eckpunkte einer Pflegereform auf den Tisch gelegt, mit der er den Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung einleiten wollte. Kernstück seiner Pläne war die Begrenzung der Eigenanteile auf maximal 700 Euro und 36 Monate. Soweit soll es nach seinen neuesten Vorschlägen nun aber doch nicht kommen.

Auch die Erwartungen an einen verbindlichen Tariftreuegrundsatz, die erhoffte Stärkung innovativer Wohnformen und die Überwindung der Sektorengrenzen enttäuschen auf ganzer Linie. Allein die Regelungen zur schrittweisen Einführung des Personalbemessungssystems lassen auf eine spürbare Verbesserung in der Pflege hoffen. Die Rechnung dafür müssen aber die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen zahlen.

Pflegebedürftige werden „relativ wenig“ entlastet

Leider haben sich die Befürworter eines „relativen Deckels“ durchgesetzt, der Heimbewohnerinnen und -bewohner erst nach zwölf Monaten mit einem 25-prozentigen Leistungszuschlag entlastet; Im dritten Jahr sollen es 50 Prozent und im vierten Jahr 75 Prozent sein. Dieser Vorschlag ist nicht nur hochbürokratisch und unsinnig, sondern auch ungerecht und weitgehend wirkungslos. „In den Einrichtungen sind durchschnittlich etwa 40 Pozent aller Bewohnerinnen und Bewohner nicht länger als zwölf Monate im Pflegeheim, das heißt, sie haben von der Reform gar nichts. Sie bezahlen weiterhin Eigenanteile von teilweise über 1.500 Euro monatlich allein für die Pflege mit stark steigender Tendenz“, erläutert Bernhard Schneider, Sprecher der Initiative Pro-Pflegereform. Den Bewohnerinnen und Bewohnern werden damit die Mehrkosten aufgebürdet, die mit der Einführung des Personalbemessungssystems zu erwarten sind. Der „relative Deckel“ ist damit alles andere als gerecht und sozial ausgewogen.

Die Eigenanteile gallopieren relativ schnell wieder davon

Der „relative Deckel“ ist auch kurzsichtig: mit den geplanten besseren Personalschlüsseln und der besseren Bezahlung der Pflegekräfte werden die Eigenanteile in absehbarer Zeit soweit ansteigen, dass sie trotz der Leistungszuschläge bald wieder so hoch sind wie jetzt. „Das Problem wird also nicht gelöst“ erklärt Schneider, „sondern nur verschoben – ein fataler strategischer Fehler.“

Eindeutig die bessere Variante ist der von der Initiative Pro-Pflegereform und Professor Heinz Rothgang ausgearbeitete Sockel-Spitze-Tausch, den Jens Spahn in seinen Eckpunkten als „gedeckelten Eigenanteil“ in seine Novembereckpunkte aufgenommen hatte. Warum? Er entlastet alle Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen sofort.

Es gibt nur einen Nachteil, der aber zeitlich begrenzt und lösbar ist: Bundesländer mit hohem Pflegesatzniveau werden stärker entlastet als solche mit niedrigen Entgelten. Aber spätestens mit der Umsetzung des Personalbemessungssystems und einer flächendeckend besseren Bezahlung werden die Eigenanteile bundesweit auf dem selben Niveau sein. „In einer solchen Konvergenzphase kann man doch problemlos mit länderspezifischen Deckeln arbeiten“, ist Schneider sicher. „Mit einem fixen Deckel können die davon gallopierenden Eigenanteile jedenfalls besser eingefangen werden, als mit relativen Leistungzuschlägen.“

Der fixe Deckel ist relativ gut finanzierbar

Mit dem fixen und zeitlich gedeckelten Eigenanteil sind die von den Pflegebedürftigen zu tragenden Pflegekosten endlich kalkulierbar. Das bedeutet, sie können mit privater Vorsorge, zum Beispiel einer Eigenanteilsversicherung, abgedeckt werden. Das ist ein wichtiger Finanzierungsbaustein für all diejenigen, die sich um die Kostenentwicklung der Pflegeversicherung sorgen. Diese Sorge ist unbegründet, weil im Rothgang-Gutachten verschiedene Finanzierungsbausteine aufgezeigt werden, mit denen diese Pflegereform gestemmt werden kann.

Der Tariftreuegrundsatz ist relativ unverbindlich

„Leider bleibt auch der angekündigte Tariftreuegrundsatz hinter den Erwartungen zurück“, kritisiert Schneider. „An Stelle einer klaren Vorgabe, wonach nur Pflegeunternehmen mit den Pflegekassen abrechnen können, die nach Tarifvertrag oder den Arbeitsvertragsrichtlinien von Diakonie und Caritas bezahlen, ist nur eine unklare Formulierung übrig geblieben“. Und die kann man nach Einschätzung von Schneider durchaus so interpretieren, dass am Ende die Pflegekassen und die Träger der Sozialhilfe festlegen, was ortsübliche Maßstäbe einer wirtschaftlichen Entlohnung sind. „Das wiederum würde weit hinter dem zurückgehen, was heute bereits als Tarifbidung im Pflegesatzverfahren anerkannt wird.“