

Die Pflege braucht viel – aber keine Kammern
Standpunkt
Der Deutsche Pflegerat fordert die Gründung
einer Bundespflegekammer als Spitzenorgani-
sation einer pflegerischen Selbstverwaltung.
Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der
Evangelischen Heimstiftung, widerspricht. Für
ihn sind Pflegekammern nur Scheinlösungen,
die vieles versprechen, in der Praxis aber außer
Posten, Kosten und Bürokratie nichts bringen
werden.
Der Deutsche Pflegerat fordert: Die Pflege soll
mitentscheiden. Die Evangelische Heimstiftung
sagt: Das kann sie auch ohne Pflegekammer. Mar-
kus Mai, Präsident der Landespflegekammer in
Rheinland-Pfalz, sieht in der Spitzenorganisation
eine pflegerische Selbstverwaltung, „um unsere
Stimme vernehmbar einbringen zu können“. Pfle-
gerat-Präsident Andreas Westerfellhaus und der
Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Karl-
Josef Laumann sprechen sich ebenfalls für die
Gründung einer Pflegekammer aus.
Bernhard Schneider, Hauptgeschäfts-
führer der Evangelischen Heimstif-
tung, ist anderer Meinung: „Auch
wenn die Zahl der Unterstützer
wächst, die Argumente für die Pfle-
gekammern werden nicht besser“. So
gibt es mit Gewerkschaften, Fach-,
Berufs- und Wohlfahrtsverbänden,
Pflegerat und andere mehr genügend Organisati-
onen, die sich gut und mit Nachdruck für die
Pflege einsetzen. „16 Landes- und eine Bundespfle-
gekammer braucht wirklich niemand, außer viel-
leicht diejenigen, die auf einen angenehmen
Funktionärsposten schielen, der von den Pflegen-
den durch Zwangsmitgliedschaft finanziert werden
soll“, sagt Schneider.
Als berufsständische Körperschaft ist eine Kammer
landesrechtlich und öffentlich-rechtlich organisiert
und übernimmt Aufgaben der berufsständischen
Selbstverwaltung, so etwa die Handwerks- oder
Ärztekammer. Aufgaben, die diese Kammern über-
nehmen, sind aber auf die Pflegebranche nicht
übertragbar. Denn Pflegekräfte sind in nahezu allen
Fällen abhängig beschäftigt, nur etwa fünf Prozent
sind freiberuflich tätig. „Wen soll die Pflegekammer
vertreten, wenn es kaum freiberuflich Pflegende
gibt?“, fragt sich Schneider. Er befürchtet, dass
durch die Forderung nach einer Pflegekammer
Erwartungen geweckt werden, die nicht zu erfüllen
sind: „Man bedient mit dem Zauberwort „Pflege-
kammer“ den Wunsch von Pflegenden nach mehr
gesellschaftliche Anerkennung, ohne dies wirklich
leisten zu können. Nichts anderes als eine Enttäu-
schung steht bevor“. Fast alle Aufgaben, die Pflege-
kammern für sich reklamieren, werden mit be-
währten Strukturen bereits erfüllt. Wer die gesell-
schaftliche Anerkennung der Pflege und das Image
von Pflegeberufen stärken will, wird das nicht über
Zwangsmitgliedschaften und zusätzliche Bürokra-
tie erreichen. Das gilt auch für eine bessere Bezah-
lung. Denn diese Entscheidung treffen Gewerk-
schaften und Arbeitgeber als Sozialpartner und
nicht die Pflegekammer. Die Mitgliedschaften
würden stattdessen neue Kosten auf den Plan rufen.
Und auch die Entwicklung von Standards für die
Pflege kann nicht ausschließlich einer
Pflegekammer vorbehalten sein, son-
dernmuss weitere Akteure mit einbe-
ziehen – so wie das heute schon der
Fall ist.
Besondere Schwierigkeiten würde
zudem die Abstimmung zwischen
einer Pflegekammer und den bislang
zuständigen Akteuren auf Landes-
und Bundesebene bringen. Bei pflegepolitischen
Entscheidungen etwa wären die Leistungserbrin-
gerverbände oder Vertreter anderer Berufsgruppen
wie Betreuungskräfte, Sozialdienste oder Hauswirt-
schaftskräfte zu konsultieren. „Den erhofften einen
Ansprechpartner und die starke Stimme für die
Pflege wird es durch die Einführung einer Pflege-
kammer niemals geben“, ist sich Schneider sicher.
Die Einführung von Pflegekammern ist also nicht
die Lösung für aktuelle Herausforderungen. „Die
Politik würde gut daran tun, nach Reformen zu
suchen, die den Pflegekräften den Rücken stärken,
die Pflegebedürftigen finanziell entlasten und der
Branche damit ein Imageboost verpassen. Stattdes-
sen werden noch mehr Ansprechpartner geschaf-
fen, die für die aktuellen Fragen keine neuen
Antworten haben“, fasst Schneider zusammen.
„Auch wenn die
Zahl der Unter
stützer wächst,
die Argumente
für die Pflege
kammern
werden nicht
besser.“
„Wen soll die
Pflegekammer
vertreten, wenn
es kaum frei
beruflich Pfle
gende gibt?“
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„Aus der Heimstiftung“
1/2017