

Titel
der zur Grundlage der EvangelischenHeimstiftung.
Als eine Erinnerung an die Gründungszeit schreibt
Dr. Antonie Kraut: „Der Rückblick auf die Jahre
nach demKrieg und die Entstehungsgeschichte der
EvangelischenHeimstiftung zeigen, wie wandelbar
die Geschichte sein kann. Aus einem tiefen Ab-
grund gab es einen Aufstieg, mit dem 1945 kaum
jemand gerechnet hat. Gott hat uns, die wir die
Heimat behalten durften, geholfen, dass wir den
Mitmenschen, die ins Elend geschickt worden sind,
helfen konnten. Dafür wollenwir dankbar sein und
den Mut behalten, auch Schwierigkeiten, die uns
in Zukunft begegnen mögen, zu bewältigen“.
Herr Hörrmann, wie lässt sich die besondere
Bedeutung von Dr. Antonie Kraut beschreiben?
Ich hatte das Glück auch ehemalige Mitarbeite-
rinnen und Gremienmitglieder nach ihren Erinne-
rungen befragen zu können. Und da sindmir einige
Antworten besonders wichtig: Alle haben gesagt,
dass sie verantwortlich war für das gute Betriebskli-
ma in der Reinsburgstraße, das habe ich selbst erlebt:
Es gab dort einen gemeinsamenMittagstisch imFlur
des 1. Stocks, vor allemauch für dieMitarbeiterinnen
aus demSekretariat und die Schreibkräfte. Anschlie-
ßend eine Kaffeerunde, die hat Dr. Antonie Kraut
ausdrücklich gebilligt, hier wurden Informationen
ausgetauscht, und zwar nicht nur zwischen den
anwesenden Geschäftsführern, sondern für alle
Mitarbeiter, die an diesem Nachmittag dabei sein
konnten. Eine weitere Erinnerungwar, dass Antonie
Kraut sich sehr um ältere, alleinstehende oder kran-
ke Mitarbeiterinnen gekümmert hat. Was den Mit-
arbeiterinnen übereinstimmend in Erinnerung ge-
blieben ist, waren ihre raschen und eindeutigen
Entscheidungen, die sie getroffen hat.
Und ein Wegbegleiter, ein juristischer Kollege, hat
ihre juristische Prägnanz und Standhaftigkeit
betont. Außerdemhat sie wesentlich zur Förderung
der beruflichen Gleichstellung von Frauen und
Männern im kirchlichen Bereich beigetragen.
Und dann haben alle noch auf den Humor dieser
Frau hingewiesen, dafür möchte ich kurz ein Bei-
spiel anführen: Zu ihrem 70. Geburtstag wurde ihr
ein Handspiegel geschenkt, der auf der einen Seite
vergrößert hat und dann hat sie rückgeschrieben:
„Denen in der Reinsburgstraße dank ich herzlich
für die Gabe. Draus erseh‘ ich meine Nase doppelt
groß als ich sie habe. Eitelkeit entfliehet eilig, wenn
zu lang davor verweil ich, doch erschaffe dieses
Schenken täglich freundliches Gedenken an der
Mitarbeiterschar, hoch ich schätze sie für wahr.“
Das war Dr. Antonie Kraut im Original.
Dr. Antonie Kraut – eine Heilige der Diakonie?
Sankt Antonie?
Mit Sicherheit nicht, das hätte sie weit von sich
gewiesen, aber sie war eine große beeindruckende
Persönlichkeit, die aufgrund ihres Glaubens, ihrer
Zuversicht, ihrer Zukunftsorientiertheit die Fun-
damente für die Diakonie inWürttemberg geschaf-
fen hat auf denen wir heute noch aufbauen kön-
nen. Der Name „Fräulein Dr. Antonie Kraut“ ist
untrennbar mit der Geschichte der Diakonie in
Württemberg verbunden, weil sie selbst ja als
Person mit ihrem Leben und ihrer Arbeit ein Teil
dieser Geschichte ist.
Was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, dass sich die Diakonie, aber auch
die Heimstiftung, immer ihrer Herkunft bewusst
wird. Und dass sie dieser Herkunft auch treu bleibt.
Für mich war und ist Dr. Antonie Kraut ein großes
Vorbild und ich denke das kann und darf sie auch
für die Heimstiftung in der Zukunft sein.
Dr. Thomas Mäule, Marina Rapp
Pfarrer Dr. Thomas Mäule (li.) im Gespräch mit Zeitzeuge Siegfried Hörrmann
„Aus der Heimstiftung“
1/2017
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