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Das Fräulein Doktor im Rat der Männer. Warum

eigentlich Fräulein?

Die Frage ist sehr einfach zu beantworten. Fräulein

Dr. Antonie Kraut war sehr selbstbewusst und

wollte mit der Anrede „Fräulein“ zum Ausdruck

bringen, dass sie es selbst war, die promoviert hat.

Denn damals war es durchaus üblich, dass Frauen

von Männern mit Doktortiteln mit „Frau Doktor“

angesprochen wurden. Und dem wollte sie aus

dem Weg gehen.

Dr. Antonie Kraut hat Förderer gehabt, die ihr

etwas zugetraut haben. Wer waren die Männer

an ihrer Seite?

Das war zum einen Herbert Keller: Theologe,

Oberkirchenrat, Leiter des evangelischen Hilfs-

werks, Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemein-

schaft der diakonischen Werke, der unmittelbare

Kollege in der Bürogemeinschaft in der Reinsburgs-

traße und stellvertretende Vorsitzender der Evan-

gelischen Heimstiftung.

Zum anderen Paul Collmer: Vizepräsident des

Hilfswerks EKD, Vorsitzender des Diakonischen

Werkes Württemberg und Geschäftsführer der

Evangelischen Heimstiftung.

Die Drei mussten mit einem großen Vertrauen

zueinander die Arbeit angegangen sein. Ich denke,

die jahrelange vertrauensvolle und enge Zusam-

menarbeit mit diesen beiden Kollegen in unter-

schiedlichen Funktionen hat die Arbeit von Dr.

Antonie Kraut stark geprägt.

Was war typisch an Dr. Antonie Kraut?

Der direkte Kontakt der Geschäftsführung zu ihren

Mitgliedern und das persönliche Gespräch waren

wesentlich für ihre Leitungsaufgabe. Und sie hat

damit auch den Verband geführt. Sie war viel unter-

wegs, vor allem in den sogenannten sitzungsfreien

Zeiten, in denen sie die Einrichtungen besucht hat.

Dann war sie jährlich bei den Freizeiten der Haus-

mütter anwesend undhat dabei enormviel erfahren,

was in den Heimen so vor sich ging. Für mich beein-

druckend war und ist immer noch, in wie vielen

Gremien Dr. Antonie Kraut den Posten des Vor-

standes oder des Stellvertreters übernommen hat. In

sechs diakonischen Einrichtungen nahm sie die

Aufgaben des Vorstandes oder des stellvertretenden

Vorstandes wahr. Bei mindestens zwölf Mitglieds­

einrichtungen war sie in deren Verwaltungsrat oder

ähnlichen Organen tätig. Wie sie das alles zeitlich

geschafft hat, ist mir heute noch ein Rätsel, aber sie

hat das fertiggebracht. Dr. Antonie Kraut wollte ein-

fach immer vor Ort bei denMitgliedern präsent sein.

Herbert Keller schrieb Dr. Antonie Kraut zu ihrem

75. Geburtstag, wie er sie in der täglichen Arbeit

erlebt hat: „Die Jubilarin erfuhr, dass die Diakonie

zwar eine Arbeit für und mit Menschen ist. Natür-

lich ist in großen Werken eine geordnete Verwal-

tung unabdingbar. Die leitenden Persönlichkeiten

dürfen aber nicht meinen, alles vom Büro oder

Schreibtisch aus machen zu können. Persönliche

Kontakte sind notwendig, wenn die Diakonie le-

bendig bleiben will. Diakonie muss beweglich sein,

wenn sie menschlich bleiben will.“ Und genau so

haben wir Dr. Antonie Kraut erlebt.

Dr. Antonie Kraut war vorausschauend und

zukünftsorientiert. Das wird deutlich bei der

Gründung der Evangelischen Heimstiftung. Wie

kam es denn dazu?

In den 50er Jahren war es erforderlich, dass die

Flüchtlingsheime aufgelöst wurden und die dort

lebendenMenschen in Einrichtungen unterzubrin-

gen. Es waren ehemalige Klöster, Schlösser, Gast-

häuser undWohnhäuser. Dann ist aber sehr schnell

deutlich geworden, dass ein Landesverband – ob

Innere Mission oder das Evangelische Hilfswerk –

nicht in der Lage waren, die weit im Land verstreu-

ten Einrichtungen zu führen und zu leiten.

Und so geschah es, dass im Jahr 1952 der einge-

tragene Verein „Evangelische Heimstiftung e.V.“

gegründet wurde. Der neue Verein hatte seinen

Sitz, wie konnte es auch anders sein, in der Reins-

burgstraße. Dr. Antonie Kraut wurde Vorsitzende,

Oberkirchenrat Herbert Keller Stellvertreter, Dr.

Paul Collmer Geschäftsführer. Im Vereinsregister

wurde als Zweck eingetragen, ich zitiere: „Heime

und Einrichtungen zur dauernden oder vorüber-

gehenden Aufnahme notleidender oder bedürf-

tiger Personen jeden Alters zu gründen, zu über-

nehmen und zu führen“.

Und was für mich immer beeindruckend war, es

gelang Dr. Antonie Kraut, alle diakonischen Akteure

dieser Zeit in das neue Gründungsboot zu holen.

Das waren die Innere Mission, das evangelische

Hilfswerk, die Landeskirche und die Kirchenge-

meinden. Und so wurde ein ganz neues Miteinan-

Titel

„Fräulein Dr.

Antonie Kraut

war sehr selbst­

bewusst und

wollte mit der

Anrede „Fräu­

lein“ zum Aus­

druck bringen,

dass sie es selbst

war, die promo­

viert hat.“

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„Aus der Heimstiftung“

1/2017