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Impuls

Luther wurde vor den

Reichstag zuWorms vor­

geladen. Er verteidigte

dort seine Glaubensfrei-

heit. Wenn er nicht

durch Vernunft oder

Bibel widerlegt werde,

werde er seine Schriften

nicht widerrufen, denn

er könne nicht gegen

sein Gewissen handeln.

Damit riskierte er für

seine Glaubensfreiheit

sein Leben.

Um es zu schützen wur-

de er von Friedrich dem

Weisen auf dieWartburg

„entführt“. Dort über-

setzte er das Neue Testa-

ment in die deutsche

Sprache, ja schuf da-

durch geradezu ein ge-

meinsames Deutsch.

Damit demokratisierte

er die Glaubensfreiheit.

Wenn jeder Mensch

verstehen kann – und

auch lesen und schreiben, eine weitere Forderung

der Reformation – ist er auch in der Lage zu eigenem

Urteil.

Nun ist aus der Geschichte der Reformation klar,

dass sie kein Sinnbild für Toleranz war. Für die

eigene Glaubensüberzeugung wurde gestritten,

Martin Luther

In diesem Jahr feiern wir 500 Jahre Reformation. Martin Luther entdeckte

als Theologieprofessor in Wittenberg, dass die kirchliche Praxis, Sünden

gegen die Zahlung von Geld zu vergeben, biblisch in keiner Weise belegt

war. Allein aus Gnade wendet sich Gott den Menschen zu und nicht, weil

der Mensch irgendwelche Leistungen in Taten oder Geld erbringt. So ver­

öffentlichte er 95 Thesen, die sich auf die Bibel als Grundlage des Glaubens

berufen und die kirchliche Lehre in Frage stellten. Eine Ungeheuerlichkeit

in dieser Zeit. Die Autorität der Kirche in Frage zu stellen, war lebens­

gefährlich.

auch mit Gewalt. Aber – Gott sei Dank – gibt es

eine Lerngeschichte der Toleranz. Das gilt zualler-

erst für die christlichen Kirchen untereinander.

1948 wurde in Amsterdam der Ökumenische Rat

der Kirchen gegründet. In ihm sind lutherische,

reformierte, unierte, methodistische, baptistische,

mennonitische und orthodoxe Kirchen aus aller

Welt verbunden. In Europa haben seit 1973 Refor-

mierte, Lutheraner und Unierte ihre Kirchen und

Ämter gegenseitig anerkannt und können daher

miteinander Abendmahl feiern. 1999 haben

römisch-katholische und lutherische Kirche er-

klärt, so, wie sie heute Rechtfertigung allein aus

Glauben theologisch verstehen, sind sie von den

Verwerfungen des 16. Jahrhunderts nicht mehr

getroffen. Das heißt: Im 21. Jahrhundert ist den

Kirchen der Welt bei aller bleibenden – und wie

ich finde durchaus kreativen – Differenz bewusst,

dass sie mehr verbindet als sie trennt.

Das hängt selbstverständlich auch mit der zuneh-

menden Säkularisierung Europas zusammen. Im

Zuge der Religionskritik der Aufklärung eröffnete

sich auch die Option, ohne Religion zu leben.

Heute ist es auf keine Weise sanktioniert, die Kir-

che zu verlassen. Weite Bereiche Frankreichs und

der Niederlande sind in diesem Sinne religionsarm

geworden. In Deutschland ist das vor allem im

Osten der Fall, wo, wie beispielsweise in Tsche-

chien, der real existierende Sozialismus Religion

massiv bekämpfte. So sind in Eisleben, in der Stadt,

in der Luther geboren und getauft wurde, zuletzt

auch starb noch sieben Prozent der Bevölkerung

Mitglied einer Kirche. Unvorstellbar zu Luthers

Zeit!

Bis vor wenigen Jahren wurde angenommen, das

habe zur Folge, dass Religion keine große Rolle

mehr spielen würde. Mit der Zuwanderung von

Muslimen nach Europa hat sich das deutlich ver-

ändert. Gerade in Deutschland wurde das lange

Zeit ignoriert. Der Begriff „Gastarbeiter“ steht

sinnbildlich dafür. Schon lange hier Lebende

meinten, die Muslime würden bald wieder heim-

kehren, daher gab es keine wirklichen Integrati-

onsbemühungen. Das beruhte auf einer Art gegen-

seitigem unausgesprochenem Einvernehmen,

meinten doch auch gerade die aus der Türkei

stammenden Arbeitskräfte, sie seien nur auf Zeit

in Deutschland. In den Niederlanden und auch in

Frankreich und England stellt sich die Situation

Lucas Cranach: Porträt des Martin Luther

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„Aus der Heimstiftung“

1/2017